Das hat es in Deutschland noch nie gegeben: In Görwihl läutet bald eine evangelische Kirchenglocke in einem katholischen Kirchturm. Noch steht die Dietrich-Bonhoeffer-Glocke in einem Museum.
Damit wird die Dietrich-Bonhoeffer-Glocke der einstigen evangelischen Kapelle, die derzeit im Heimatmuseum ihr Dasein fristet, in Görwihl wieder in Dienst gestellt. Erstmals läuten soll sie im September.
Nein, dazu habe es keine große Überzeugungskünste gebraucht, winkt Pfarrer Bernhard Stahlberger ab. Widerstände habe es keine gegeben, "im Pfarrgemeinderat waren alle begeistert", erzählt er. Auf die Idee sei er bei einem Besuch des Heimatmuseums gekommen. Dort habe ihm dessen Leiter Paul Eisenbeis die 170 Kilo schwere Dietrich-Bonhoeffer-Glocke gezeigt und die Geschichte dazu erzählt.
Zusage der Erzdiözese ebnet den Weg
Vor inzwischen sechs Jahren hatte die evangelische Gemeinde Görwihl das Albert-Schweitzer-Haus mitsamt der Kapelle verkaufen müssen. Die anstehenden Renovierungen hätten die Gemeinde in den Ruin getrieben. Als sich ein Käufer fand, wanderte die Bronze-Glocke aus der renommierten Glockengießerei Bachert in Karlsruhe in das Heimatmuseum. "Aber Paul Eisenbeis und ich waren uns sofort einig, dass eine Glocke auf einen Turm gehört", erzählt Pfarrer Stahlberger.
Sofort Feuer und Flamme war auch seine evangelische Kollegin Heidrun Moser. Die Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Albbruck-Görwihl fragte in ihrem Kirchengemeinderat nach etwaigen Befindlichkeiten – und bekam eine überwältigende Zustimmung für das Vorhaben.
Am Mittwoch dann erreichte Pfarrer Stahlberger auch die schriftliche Zusage der Erzdiözese Freiburg. Jetzt steht dem Projekt nichts mehr im Wege. An Christi Himmelfahrt will man in Görwihl den ersten Schritt gehen. Dann werde ein ökumenischer Gottesdienst gefeiert und anschließend die Glocke vom Heimatmuseum in die Kirche St. Bartholomäus gebracht.
Dann allerdings gehen die Arbeiten erst los. Rund 30.000 Euro wird die Umsetzung kosten. "Der Glockenstuhl muss umgebaut werden. Die zweitgrößte Glocke des Geläuts wird ein wenig versetzt, um Platz für die Bonhoeffer-Glocke zu bekommen", erklärt Stahlberger. Außerdem wird oberhalb des Glockenstuhls eine Holzdecke eingezogen. Die ersten Spenden für das Projekt sind schon eingegangen, beide Kirchen bekommen Zuschüsse dafür, Stahlberger und seine evangelische Kollegin Moser hoffen auf weitere Spenden und sind optimistisch. "Glocken sind für die Menschen extrem wichtig", wissen beide.
Der Klang passt
Wer Sorge hat, dass der evangelische Sound nicht mit dem katholischen kompatibel ist, den beruhigen die beiden Geistlichen. Die Bonhoeffer-Glocke ist genau auf das katholische Geläut abgestimmt und klingt im Ton Es. "Das ist nicht das Problem. Von der Tonlage her wird das niemand merken, wir haben einfach ein noch volleres Geläut mit sechs statt wie bisher mit fünf Glocken", sagt Stahlberger.
Etwas anderes hat den Gemeindemitgliedern viel mehr zu schaffen gemacht. Die fünfte Glocke im Geläut klingt etwas zu hoch. Es gebe Überlegungen, diese Glocke nachzustimmen. "Da hat dann schon so mancher schlucken müssen", erzählt Stahlberger. Wie sich eine nachgestimmte Glocke 5 anhört, veranschaulicht Pfarrer Stahlberger auf der Homepage der Seelsorgeeinheit Görwihl. Dort sind alle Glocken einzeln zu hören, mitsamt der Simulation, wenn die Bonhoeffer-Glocke eines Tages auch mitklingen wird.
"Für diese Skepsis habe ich Verständnis", sagt Johannes Wittekind, Glockensachverständiger der Erzdiözese Freiburg. Auch er sei kein Anhänger davon, Glocken nachträglich zu manipulieren. Im Fall der Görwihler Glocke allerdings sei die Nachstimmung zur Klärung der Nominallinie des Geläuts, das vom sogenannten Salve-regina-Motiv gebildet wird, akzeptabel.
Bonhoeffer-Glocke läutet zum jedem Vater Unser
Hängt die Bonhoeffer-Glocke erst einmal im Glockenstuhl von St. Bartholomäus, wird auch eine neue Glockenordnung zum Tragen kommen. Diese wird Kurt Kramer, eine Koryphae auf dem Gebiet der Kirchenglocken, erstellen. Er sagt, dass das Görwihler Projekt einzigartig in Deutschland sei, "zumindest nach dem Krieg". Johannes Wittekind weiß von einem Fall in Mannheim, wo dasselbe angedacht wird.
Läuten wird die Bonhoeffer-Glocke übrigens zum jedem Vater Unser. Das wird vertraglich so festgelegt. Die Glocke wird auch per Knopfdruck aus der evangelischen Hauskapelle in Görwihl betätigt werden können. Im Gegenzug wird die evangelische Glocke an Karfreitag verstummen. An diesem Tag verzichten die Katholiken im Gedenken an den Tod Jesu vollständig auf Glockengeläut im Gegensatz zu den Protestanten.
Katholische Kirchenglocken läuten eigentlich jeden Tag um 15 Uhr zum Gedenken an die Todesstunde Jesu. Um das Besondere des Karfreitags hervorzuheben, schweigen sie dann aber an diesem speziellen Tag.
Dieser Artikel erschien am 27. Februar 2014 in der Badischen Zeitung. Den Originalartikel von Michael Krug finden Sie auf der Website der Badischen Zeitung.